Nicolas Eichenberger war Präsident der JUSO Basel-Stadt, ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) und Tierrechtsaktivist bei Animal Rights Switzerland. Bei seiner früheren Kandidatur für den Nationalrat schrieb er den Text Warum Tierschutz alleine nicht reicht… Nun kandidiert er bei den Grossratswahlen Ende Oktober 2020 im Kanton Basel-Stadt.
Lieber Nicolas, du bist unser erstes Mitglied in der Schweiz! Wir wollen gern mit dir über deine Tierrechtsarbeit, Tierrechte bei der SP und in der Schweiz sprechen. Auch soll es um deine Unterstützung der erfolgreichen Kampagne NOzeanium gehen.
Bei der Vorbereitung zu diesem Interview stoßen wir auf die Überschrift „Pouletflügeli haben ihn politisiert“. Was hat es damit auf sich?
2011 war ich mit Freunden in London und wir liefen, sehr zufällig, in eine KFC-Filiale. In der Schweiz gibt es keine Ableger und entsprechend war es wohl die Neugier und nicht bloß der Hunger, der uns dort hinein trieb. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich niemand aus der Gruppe mit dem Thema Tierrechte auseinandergesetzt.
Doch als ich dann diese großen Berge Poulet-Fleisch (Hühnerfleisch) sah, wurde mir klar, wie viele Hühner hierfür getötet wurden. Anschließend habe ich mir irgendein Menü bestellt, mich damit zu meinen Freunden gesetzt. Doch gegessen habe ich fast nichts davon, es ekelte mich an. Das war neu.
[pullquote align=“right“]Auch ein größerer Käfig bleibt ein Käfig. Ich bin nicht zufrieden, wenn Käfige grösser werden, ich bin erst zufrieden, wenn es keine Käfige mehr gibt.[/pullquote]Danach habe ich das Thema Tiere essen noch ein paar Monate verdrängt, mich dann damit auseinandergesetzt, wurde Vegi und im 2013 schlussendlich vegan. Es hat mich erschreckt, wie wenig Aufmerksamkeit dem Thema Tierschutz gegeben wird, bzw. dass Tiere überhaupt keine Grundrechte haben. Doch war mir auch bewusst, dass sich das ändern lässt. Es werden und wurden bereits viele emanzipatorische Kämpfe geführt und auch gewonnen.
Also, was tun? Mir war schnell klar, dass ich dafür Mitglied der JUSO und der SP werde (die Jungsozialist*innen sind die Jungpartei der SP). Das Thema Tierrechte ist ein klar linkes Thema. Nur leider wissen das noch nicht alle Genossinnen und Genossen.
Was kannst du uns über deine politische Arbeit für Tiere sagen? Welche Kämpfe lohnen sich, wie sieht die Auseinandersetzung innerhalb der SP oder JUSO beim Tierschutz aus, was hat sich im Laufe der Jahre geändert?
Das Thema ist im Bewusstsein der Menschen angekommen, auch aus einer ethischen Perspektive. Natürlich mehr noch aus einer ökologischen, doch glücklicherweise nicht nur.
Dennoch ist heute eine speziesistische Weltanschauung noch weit verbreitet. Speziesismus bedeutet, ein Tier auf Basis der Artzugehörigkeit zu betrachten bzw. gar nicht moralisch zu berücksichtigen. Als Beispiel ist die Empörung hierzulande groß, wenn irgendwo Hunde gegessen werden. Doch wenn wir es vergleichen, wie wir zum Beispiel mit Schweinen umgehen, wird das Verwerten der Schweine als normal angesehen und damit begründet, dass wir dies schon “immer so getan haben”. Doch Schweine können ebenso wie Hunde Schmerz und Angst empfinden. Es kann diskutiert werden, ob man einem Leben einen Wert zuweisen kann oder soll, doch ist das Problem eher, dass das Leben der nichtmenschlichen Tiere gar nicht zählt. Der Antifaschismus ist glücklicherweise für viele eine Selbstverständlichkeit, doch was Antispeziesismus bedeutet, wird noch wenig verstanden. Dabei sind sich diese beiden Kämpfe ähnlich; in jedem Fall kann man nicht antispeziesistisch sein, ohne auch ein antifaschistisches Selbstverständnis zu haben.
Hier ist sehr viel Diskurs und auch Information nötig. Doch wir sind auf dem richtigen Weg. Nur die Reisegeschwindigkeit ist schwer einzuschätzen.
Erfreulicherweise werden auf dem nationalen Politik-Parkett bald einige Vorstösse diskutiert. Zum Beispiel die Verfassungsinitiative von Sentice Politics und die “Massentierhaltungs-Initiative”. Die Initiative möchte Verbesserungen bei der Tierhaltung und wird dafür sorgen, dass das Thema Massentierhaltung schweizweit diskutiert wird.
Zudem werden wir im September 2020 über das neue Jagdgesetz abstimmen. Hier hat die SP zusammen mit Tier- und Umweltschutzorganisationen das Referendum ergriffen. Bei einem Referendum wird ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz den Staatsbürger*innen vorgelegt, sofern innerhalb von drei Monaten 50.000 Unterschriften zusammen kommen. Das vom Parlament revidierte Gesetz will den Abschuss von Wildtieren vereinfachen. So sollen zum Beispiel Raubtiere wie Wölfe oder Bären prophylaktisch getötet werden können. Aktuell ist das nur möglich, wenn ein Raubtier bereits “Nutztiere” getötet hat. Mit dem Referendum bekämpfen SP und NGOs eine Aufweichung des Tierschutzes.
Wie haben sich deine Ansichten zum Tierrechtsaktivismus in der Zwischenzeit geändert?
Ich musste früh lernen, dass Dinge die mir weh tun, anderen gleichgültig sind. Ich stelle fest, dass ich es wohl mehrfach erklären muss, immer nett und sachlich, um mich verständlich zu machen und zum Nachdenken anzuregen.
So habe ich beschlossen, einen parlamentarischen Weg zu gehen, bzw. dies zu versuchen. Heute finde ich, die Tierrechtsbewegung muss ihre Anliegen in die progressiven Organisationen und Parteien tragen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich nicht mehr an Demonstrationen teilnehme.
Ich versuche so oft wie möglich zu reflektieren und frage mich, gehe ich zu weit? Sind meine Ziele realistisch? Doch bisher bin ich immer wieder an denselben Punkt gekommen: Auch ein größerer Käfig bleibt ein Käfig. Ich bin nicht zufrieden, wenn Käfige grösser werden, ich bin erst zufrieden, wenn es keine Käfige mehr gibt.
Ziel der Kampagne NOZEANIUM war es, das Meerwasseraquarium in Basel zu verhindern. Du hast dich mit dem Ausdruck „Nur ein Nein zum ‘Ozeanium‘ ist auch ein Nein zu Tierquälerei!“ als Gegner des Ozeaniums positioniert.
Was macht für dich die Tierquälerei beim Ozeanium aus?
Tierquälerei ist nicht klar definiert. Aus meiner Perspektive quält man ein jedes Tier, auch wenn man ihm nicht direkt Schmerzen zufügt. Viele Tiere wären beim Wildfang und anschließendem Transport gestorben. Die Überlebenden würden dann in zu kleinen Becken gefangen gehalten, einzig damit Menschen sie anschauen können. Das Ozeanium war nicht für Fische, es war für die Besuchenden konzipiert. Hinzu kommt: Viele Fische zeigen krankhafte Verhaltensmuster in Gefangenschaft, wie wir sie bei eingesperrten Säugetieren beobachten können. So pflanzen sie sich z.B. nicht fort – was den Wildfang dann wieder unvermeidlich macht.
Schließlich haben sich in einer Volksabstimmung im Jahr 2019 54.56 % gegen das Ozeanium ausgesprochen. In der folgenden Pressemitteilung der JUSO Basel, deren Präsident du damals warst, heißt es: „Ebenso erfreut sind wir über das Nein zum Ozeanium. Ein solches Projekt entspricht weder dem Zeitgeist noch ist es aus ethischer Perspektive zu rechtfertigen. Das Bestreben nach Grundrechten für alle, auch nicht-menschlichen Tiere hat mit diesem Erfolg einen weiteren Schritt nach vorne gemacht.” Zudem: „Für eine Stadt, welche den Klimanotstand ausgerufen hat, ist dies das richtige Signal.” Was hat das Ozeanium mit dem Klimanotstand zu tun?
Der Klimanotstand wurde in Basel im Februar 2019 ausgerufen. Das Ozeanium hätte sehr viel Energie verbraucht, besonders die Heizungssysteme für das Wasser und die Pumpen wären sehr energieintensiv. Auch der Fang und Transport aus aller Welt hätte einiges an CO2 emittiert.
In Berlin kämpft die Bürgerinitiative „Bucht für alle“ und die sozialistische Umweltorganisation Naturfreunde Berlin gegen das Riesenaquarium „Coral World“. Was können sie von Basel lernen?
Wir konnten die Frage stellen, braucht es das wirklich in Basel? Kostet das nicht etwas viel und können wir an dieser guten Lage nicht etwas besseres bauen? Auch wenn das Projekt privat finanziert war. Dennoch war eines der Hauptargumente ethischer Natur. Die Tiere würden nicht vom schier endlosen Ozean in eine kleines Becken in einem Binnenland wechseln wollen.
Dann waren da noch infrastrukturelle Punkte wie Mehrverkehr, Umbauten des öffentlichen Verkehrs, der dort jetzt verläuft, etc.
Doch ohne direkte Demokratie hätte Basel heute ein Ozeanium. Die Aufteilung der jeweiligen Bauzonen musste geändert werden, was die Regierung empfahl und dem das Parlament folgte. Danach haben wir das kantonale Referendum gegen die Zonenplanänderung ergriffen, Unterschriften gesammelt und anschließend den Abstimmungskampf geführt.
Besonders interessant waren die politischen Lager, es gab wenig klare Links/Rechts Trennlinien. Linke in Basel waren eher gespalten, während rechte Kreise tendenziell dafür stimmten. Auch dort gab es eine Gegnerschaft, doch weniger aus ethischen sondern aus verkehrstechnischen oder architektonischen Gründen.
Du willst in das Parlament des Kantons Basel-Stadt einziehen. Dein Wahlkampfmotto lautet „Politik für alle: Tier- und Umweltschutz die nötige Priorität geben.“ Kannst du uns konkrete Ziele nennen?
Ohne politische Intervention bzw. eben Regulation geschieht wenig bis nichts. Der Kanton betreibt viele Institutionen, welche alle möglichen Lebensbereiche beeinflussen. Als allererstes möchte ich einen Antrag zum Wildtierverbot in Zirkussen einreichen. Das kennt man aus vielen anderen Städten und hätte gute Erfolgschancen. Desweiteren möchte ich beeinflussen, was in großen Mensen angeboten wird. Wir reden hier von tausenden Mahlzeiten, fünfmal die Woche. Heute noch tischen Mensen jeden Tag ein Fleischmenü auf und auch das Vegimenu ist aus der tier-ethischen Perspektive bloß ein kleineres Übel. Denn auch für das Käsesandwich wird einer Kuh ihr Kalb entrissen, aufgrund des Eierkonsums männliche Küken getötet. Doch auch aus einem ökologischen Blickwinkel reicht es nicht, die Herausforderungen der drohenden Klimakatastrophe abzuwenden. Da der Kanton hier die Aufträge vergibt und die vertraglichen Eckdaten festlegt, wäre es relativ einfach, deutliche Verbesserungen zu erwirken.
Ein weiterer Punkt, explizit in Basel, sind Tierversuche. Die zwei größten Pharma-Multis der Welt haben ihren Sitz in Basel. Es gibt mehrere Standorte, an denen Tierversuche durchgeführt werden. Es herrscht absolute Intransparenz und das Thema wird stark tabuisiert. Bei Tierversuchen muss in eine Richtung hingearbeitet werden, dass in circa 20 Jahren keine Tierversuche mehr nötig sind. Es wird teilweise in diese Richtung geforscht, doch viele Projekte stecken noch in Kinderschuhen. Als Beispiel wird mit “Organ-on-a-Chip” geforscht. Doch da muss noch einiges passieren, damit Tierversuche überflüssig werden. Die Universität Basel hat eine sehr grosse “Life-Science”-Abteilung, was natürlich kein Zufall ist, da der Pharmaverband an der Basler Universität Lehrstühle finanziert. Zusätzlich bestimmt der Kanton und somit auch das Kantonsparlament in welche Richtung finanziert bzw. dann geforscht wird.
Einige Fortschritte sind in naher Zukunft umsetzbar, um den Konsum und die Produktion von Tieren zu verringern. Doch noch wichtiger ist die damit verbundene Aufmerksamkeit. Alle politischen Akteur:innen müssen sich dann mit dem Thema auseinandersetzen. Das Bewusstsein für das Leben und Leiden der Tiere kann und konnte so gestärkt und ausgebaut werden. Dies müssen wir weiterführen und den Druck erhöhen: Für bessere Lebensbedingungen und schlussendlich für die Grundrechte aller Tiere.