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Interview mit der Tierethikerin und Aktivistin Friederike Schmitz

Friederike Schmitz
Friederike Schmitz

Mit Richard David Precht und Hilal Sezgin dürftest du die bekannteste Tierethikerin im deutschsprachigen Raum sein. Nach Tätigkeit an verschiedenen Unis arbeitest du jetzt freiberuflich als Autorin und Referentin und engagierst dich bei Tierfabriken Widerstand und Mensch Tier Bildung e.V.

An welchen Theorien orientierst du dich in deinem Tun und Denken?

Eine Orientierungsfunktion haben Theorien bei mir eigentlich nicht. Einige Argumente aus der Tierethik und der politischen Theorie haben mich beeindruckt und einen Einfluss auf mein Tun und Denken gehabt – darunter insbesondere Argumente für Tierrechte und Tierbefreiung und Ideen von Herrschaftsfreiheit und Intersektionalität. Mittlerweile sind aber direkte Gespräche und praktische Erfahrungen in meinem eigenen Aktivismus noch wichtiger geworden.

Die Debatte über die ethische Legitimität der gegenwärtigen Tierhaltung wird aus Deiner Sicht häufig nur einseitig geführt. Warum reicht eine Abschaffung von tierquälerischen Praktiken in der Nutztierhaltung nicht aus?

Erstens: Weil ich nicht glaube, dass eine solche Abschaffung überhaupt möglich ist. Auch in den vermeintlich besten Haltungsformen finden Rechercheteams regelmäßig schreckliche Zustände. Es ist einfach wirtschaftlich vorteilhaft, die Bedürfnisse der Tiere zu missachten. Das lässt sich nur auflösen, wenn wir Tiere nicht mehr als Waren und Produktionsmittel betrachten.
Zweitens: Häufig stehen bei Diskussionen um die Tierhaltung nur die augenfälligsten Grausamkeiten im Vordergrund: Ungesunde Überzüchtungen, körperliche Verstümmelungen, das Einsperren auf engstem Raum, Fehlbetäubungen beim Schlachten usw. All das ist fürchterlich. Aber wir müssen auch darüber reden, ob es überhaupt in Ordnung sein kann, Tiere – klarerweise gegen ihren eigenen Willen – zu unseren Zwecken einzusperren, ihr Sozialleben zu kontrollieren oder sie zu töten. In den üblichen Tierschutzdebatten wird das häufig komplett ausgeblendet.

Die Tötung der Tiere wird meist nicht grundsätzlich kritisiert. Welchen kritischen Beitrag kann die Tierethik hier liefern?

Die Tierethik zeigt, dass es unheimlich schwer ist, eine Sonderstellung des Menschen zu rechtfertigen. Welche Eigenschaft von Menschen ist es, die begründet, dass unser Leben quasi heilig ist, während Milliarden von Tieren jedes Jahr getötet werden, ohne dass das größere Empörung hervorruft? Tatsächlich findet sich keine Eigenschaft, die als Begründung wirklich überzeugend ist. Gern wird angeführt, dass Menschen Vernunft hätten und deshalb besonders wertvoll seien. Aber zum einen trifft das gar nicht für alle Menschen zu – Säuglinge beispielsweise haben gar nicht die erforderlichen geistigen Fähigkeiten. Zum anderen ist unklar, was eigentlich die Vernunft mit dem Recht auf Leben zu tun haben sollte – wieso sollte diese Fähigkeit irgendwie wertvoller sein als andere Fähigkeiten?

Wie nimmst du die Tierschutzpolitik der Grünen wahr?

Die Grünen stoßen immer wieder gesellschaftliche Diskussionen zu wichtigen Themen an. In ihren Positionen finde ich sie allerdings letztlich nicht sehr überzeugend – u.a. weil sie vor einer Grundsatzkritik der Vernutzung von Tieren zurückschrecken und damit oft zu Beschönigungen z.B. der Biotierhaltung neigen. Auch habe ich nicht den Eindruck, dass sie große Veränderungen erreichen, wenn sie an der Macht sind – was freilich auch mit den Gegebenheiten des politischen Systems zu tun hat.

Es gibt wenige „unproblematische“ Organisationen, die eine starke Kritik an der Produktion von Tieren anführen, und noch weniger, die sich Parteien als Gesprächspartner anbieten (VEBU, ASS, ?). Außerdem gibt es in der Mehrheit der Bevölkerung kein grundsätzliches Bewusstsein für die Situation der Tiere und folglich kein Willen die Produktion der Tiere zu beenden. Was muss eine fortschrittliche Partei in der jetzigen Situation machen?

Ich denke generell, dass gesellschaftliche Veränderungen nicht von Parteien, sondern von Graswurzelbewegungen ausgehen und vorangetrieben werden. Parteien können diese Tendenzen behindern, ignorieren oder unterstützen. Was die Tierhaltung angeht, wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, sich für Veränderungen auf der Konsumseite (Schul- und Kantinenessen, Mehrwertsteuer usw.) ebenso wie auf der Produktionsseite (Verbandsklagerecht, Baurecht usw.) einzusetzen. Dafür müsste man sich aber zu aller erst mal zu der Erkenntnis durchringen, dass aus Tier-, Umwelt- und Klimaschutzgründen eine Verringerung des Tierproduktkonsums wünschenswert ist. In der gegenwärtigen Situation wäre schon viel gewonnen, wenn im politischen Diskurs keine Beschönigung der Tierhaltung mehr stattfände (wie u.a. Bundes- und Landesministerien sie betreiben) und wenn nicht mehr direkt mit der Tierindustrielobby zusammengearbeitet würde (wie es zur Zeit natürlich auch in der SPD üblich ist).

Vielen Dank Friederike!

Unser Buchtipp: Sammelband Tierethik (2014), Hrsg. Friederike Schmitz (Rezension)