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Liebe Genoss*innen,

für 73 % der Wähler*innen ist klar, dass die Politik mehr für den Tierschutz tun sollte[1]. Und nun sieht es so aus, als wollt ihr die seit Juli 2013 beschlossene Beendigung der betäubungslosen Ferkelkastration zum 01.01.2019 abermals verschieben. Das darf nicht sein!

Denn die betäubungslose Kastration der gerade einmal bis zu sieben Tage alten Ferkel ist brutal und mit erheblichen Schmerzen und Stress verbunden. Wir müssen das Leid der Ferkel ernst nehmen!

Es gibt Alternativen zur betäubungslosen Kastration

Die Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion vertritt den Standpunkt, es gebe praktikable Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration. Die Sozialdemokratie darf folglich der Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration nicht zustimmen!

Wir möchten euch dennoch darauf hinweisen, dass es auch bei diesen Alternativen Probleme gibt.

Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut) präferiert die Impfung gegen den Ebergeruch. Allerdings wird diese Alternative als kostenneutral oder gar mit einhergehendem Kostenvorteil beschrieben, da es zeitweise zu einer schnelleren Gewichtszunahme komme. Durch die Vermeidung der Pubertät werden die Tiere zudem – wie jetzt auch schon durch die betäubungslose Kastration – ruhiger und weniger aggressiv. Von der Phrase, die Tierproduktion an die Tiere und nicht die Tiere an der Tierproduktion anzupassen, bliebe somit nichts übrig.

Bei der (Jung-)Ebermast werden die Tiere gemästet, getötet und entsprechend der Möglichkeiten entweder vermarktet oder, wenn sie „Stinker“ sind, an die Tierkörperbeseitigung weitergegeben. Auch diese Tiere „durchleben“ somit weiterhin einen Produktionsprozess in engen Buchten und mit den bekannten Problemen. Weder die sozialen noch die emotionalen Bedürfnisse der Schweine werden auch nur annähernd beachtet. Stattdessen leben sie dicht gedrängt auf einstreulosen Vollspaltenböden.

Einige Tierschutzorganisationen haben eine Auflistung der diversen Vor- und Nachteile der verschiedenen Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration in Stichpunkten vorgenommen: https://files.albert-schweitzer-stiftung.de/1/Positionspapier-Ferkelkastration-2018-05.pdf

Verfassungsrechtliche Bedenken

Dem Strafrechtler Prof. Dr. Jens Bülte zufolge ist ein sofortiges Verbot der betäubungslosen Kastration unvermeidlich, da der Schutz des Verfassungsgutes Tierschutz anders nicht gewährleistet werden könne. Eine Verlängerung, der im Tierschutzgesetz rechtlich verankerten Frist, wäre also verfassungswidrig, denn es gibt ausreichend Alternativen. Eine Niederlage vor dem Verfassungsgericht wäre für die schon jetzt massiv beschädigte Tierschutzpolitik der SPD ein weiterer herber Rückschlag.

Wir bezahlen nicht für eure Tierproduktion!

Keinesfalls dürfen die Kosten der Kastration vergesellschaftet werden. Es ist nicht zumutbar, die Tierproduktion in Deutschland, die keinesfalls besser ist als in den Nachbarländern[2] noch stärker zu fördern! Deshalb dürfen auch keine staatlichen Mittel für Geräte oder für Informationskampagnen zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen mit dieser Art der Bevormundung der Verbraucher*innen und der Subventionierung von Tierleid endlich brechen!

Die SPD sollte nicht für Fehler der Union haften

Bereits seit 2005 wird das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) von der Union geführt. Für die derzeitige Situation in der Frage der Ferkelkastration sind folglich die CDU und die CSU verantwortlich. Eine Zustimmung zur Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration wird allerdings vor allem der SPD weitere Zustimmung kosten. Denn zum einen fand keine klärende Kommunikation statt, zum anderen wird vor allem von der SPD ein starker Tierschutz erwartet. Die im Koalitionsvertrag geforderte Spitzenposition im Tierschutz ist mit einer Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration nicht zu erreichen. Die letzten Jahre sozialdemokratischer Tierschutzpolitik waren eine Zumutung. Die SPD darf nun nicht auch noch das letzte bisschen Vertrauen im Tierschutz verspielen.

Der sozialdemokratische Tierschutz steckt in der Krise

Denn viele Menschen innerhalb und außerhalb der SPD hadern wegen unserer Tierschutzpolitik schon lange mit der Partei. Die Diskussionen um das Tierwohllabel, der Foie gras Skandal durch unseren Kandidaten im letzten Wahlkampf sowie das ungeklärte ethische Fundament unseres Tierschutzes lassen viele Menschen fragend zurück. Die Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration könnte für die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie im Tierschutz das sein, was die Hartz IV Gesetzgebung oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Sozialpolitik war. Die SPD ist aufgerufen endlich kritisch zu werden, denn die anderen progressiven Parteien, die Umwelt- und Tierschutzverbände sowie die gesellschaftliche wie akademische Diskussion sind schon viel weiter. Es spricht nicht für den Zustand der SPD zu glauben, sie könnte ohne die gesellschaftskritischen und ethisch fundierten Positionierungen zu beachten, den Tierschutz voranbringen.

Agrarwende jetzt einleiten!

Allen progressiven Kräften im Umweltschutz ist klar, dass die Produktion von Tieren deutlich zu reduzieren ist. Die SPD schreibt sich zwar eine flächengebundene Landwirtschaft in ihre Wahlprogramme, hat aber bislang keinen Plan vorgelegt, wie sie sich den Abbau der Tierfabriken und den Aufbau von neuen, nachhaltigen, Ernährungsmustern vorstellt.

Wir fordern daher eindrücklich, eine Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration abzulehnen und endlich echte Alternativen zu Tierleid und Tierfabriken zu fördern.

[1] Zühlsdorf et al. (2016): Wie wichtig ist Verbrauchern das Thema Tierschutz?

[2] siehe BMEL (2015): Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung, „Niveau der Tierschutzrechtsetzung in Deutschland im europäischen Vergleich“