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Sentience Politics und fleischfreie Mensa: Interview mit Adriano Mannino

Als Philosophie-Student forderte Adriano Mannino mit MitstreiterInnen im September 2012 an der Universität Basel eine “fleischfreie Mensa”. Mit Sentience Politics hat er in diesem Jahr ein Projekt mitinitiiert, das sein politisches Engagement für Tiere fortsetzt und sich zum Ziel gesetzt hat, Strukturen, die unnötiges Leid erzeugen, möglichst effektiv zu verändern. Sozis für Tiere hat sich mit dem Co-Präsidenten der Giordano Bruno Stiftung Schweiz (GBS) und SP-Mitglied Adriano Mannino über die Projekte ausgetauscht.

 

Lieber Adriano, was waren eure Forderungen bei dem Projekt “Vegi-Mensa Uni Basel” und wie ist die Sache verlaufen?

Wir haben damals die Einführung mindestens eines täglichen veganen Menüs, die Verbilligung des Salatbuffets durch einen Pauschalpreis auf das Niveau des normalen Menüpreises sowie die Abschaffung des Fleisch- und Fischangebots gefordert. Unser Antragspapier kann hier gelesen und für eigene Vorstösse gerne auch übernommen werden. Das Vegi-Mensa-Projekt wurde von Mitgliedern der Hochschulgruppe Frei denken Uni Basel lanciert. Wir haben den Antrag verfasst und dem Studierendenrat der Uni Basel vorgelegt. Parallel dazu haben wir in einer Medienmitteilung über unser Vorhaben orientiert, die erste Medienberichte auslöste. Eine Woche später wurde der Antrag im Studierendenrat debattiert und schließlich angenommen. Die dazu versandte Medienmitteilung hat dann zu zahlreichen Medienberichten geführt. Gegen den Entscheid haben GegnerInnen der “fleischfreien Mensa” das Referendum ergriffen und in diesem Zusammenhang fand eine Podiumsdiskussion zum Thema statt, die mehrere hundert Studierende besuchten und die online mittlerweile fast zehntausend Views hat. Kurze Zeit später hat die Uni ein neues Verpflegungskonzept vorgestellt, mit dem die Nachhaltigkeit gefördert werden sollte. Das Konzept sah neu gleich viele vegetarische wie Fleischmenüs sowie ein wöchentliches veganes Menü vor. Außerdem sollten die Fleischmenüs verteuert und eine Mensa in einem Pilotversuch während eines Semesters vegetarisch-vegan geführt werden. Unsere Forderungen wurden damit teilweise aufgenommen. Im Studierendenrat haben wir uns deshalb auf diesen Vorschlag geeinigt.

 

Mit den Erfahrungen, die du mittlerweile gemacht hast: Würdest du das Projekt heute nochmals gleich aufziehen?

Ja, ich denke, wir haben vieles richtig gemacht. Obwohl ein Studierendenrat deutlich progressiver ist als die gesamtgesellschaftliche Politik, sind Vegis natürlich auch dort noch in der Minderheit. Trotzdem ist es uns gelungen, ihn von der ersten “Maximalforderung”, der Abschaffung von Fleisch in der Mensa, zu überzeugen. Dass wir mit einer weitreichenden Forderung angetreten sind, hat zudem den Raum für einen Kompromiss in unsere Richtung geöffnet. Richtig und wichtig war zudem, dass wir öffentlich-politisch agiert haben ‒ statt Leute bloß privat von einer Konsumänderung zu überzeugen ‒, was gewichtige Vorteile hat: Es ist einfacher, KonsumentInnen argumentativ davon zu überzeugen, strukturelle Maßnahmen zur Förderung der veganen Ernährung zu unterstützen, als KonsumentInnen davon zu überzeugen, selbst vegan zu werden, obwohl es sich bei den KonsumentInnen um dieselben Leute handelt. Das hat damit zu tun, dass viele Leute sozusagen “moralisch, aber nicht praktisch dagegen” sind, Tieren Leid zuzufügen. Obwohl ihr Konsumverhalten ihre vielleicht schwache moralische Haltung im Marktbereich nicht widerspiegelt, werden sie im politischen Bereich z.B. die Einführung veganer Optionen in öffentlichen Institutionen unterstützen. Unsere moralische Haltung durch eine Abstimmung auszudrücken, ist weniger aufwändig und ermöglicht es uns, uns selbst einen Nudge in die Richtung unserer eigentlich präferierten Wahl zu geben, die wir gerne treffen würden, in der Praxis aufgrund von Willensschwäche aber oft nicht treffen. Und zwar dadurch, dass wir die strukturellen Bedingungen graduell verändern, unter denen diese Wahl getroffen wird: Indem wir zum Beispiel für die Vergrößerung des Vegi-Angebots in der Mensa stimmen, schaffen wir Bedingungen, unter denen wir uns öfter tierfreundlich ernähren werden. Dies bestätigt auch die Uni Basel: Die Angebotsänderung führte zu einem 15%-Rückgang beim Fleischkonsum. Im Kontext des Vegi-Mensa-Antrags haben wir außerdem eine Landing-Page aufgeschaltet, welche die Verhältnisse in der “Nutztier”-Haltung dokumentiert. Wir haben mit tausenden Flyern sowie mit abertausenden Online-Ads auf sie gelinkt – es könnte sich dabei um eine der effektivsten Aktionsformen überhaupt handeln.

 

Auch Sozis für Tiere arbeitet politisch. Kannst du uns weitere Vorteile einer politischen Vorgehensweise nennen?

Allerdings. Denn selbst wenn der Widerstand gegen die Argumente für den Veganismus im politischen Bereich größer wäre als im privaten Bereich, würde es sich dennoch lohnen, einen gewissen Aufwand dafür zu betreiben, diese Argumente im politischen Bereich zu verbreiten. Das liegt am Potenzial des Hebeleffekts in der demokratischen Politik. Wenn 51% der BürgerInnen (oder 51% der institutionellen EntscheidungsträgerInnen) sich für einen Weg entscheiden, wird ihre Entscheidung für sie, aber auch für die anderen 49% zum Gesetz, während die Entscheidungen von 51% der KonsumentInnen oder Privatpersonen auf dem Markt die übrigen 49% nicht bindet, und auch die 51% sind frei, ihr Verhalten jederzeit wieder zu ändern. Außerdem (und das ist vielleicht am wichtigsten) bietet die Politik eine effektive Plattform, Ideen zu verbreiten und sie in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen. Direkte Demokratien wie die Schweiz bieten zudem die Möglichkeit der Volksinitiative: Sammle 100’000 Unterschriften auf Bundesebene oder einfach nur ein paar hundert oder tausend auf städtischer oder kantonaler Ebene – und du kriegst eine verbindliche Volksabstimmung über das Gesetz, das du vorschlägst, verbunden mit Pro-/Kontra-Statements aller relevanten politischen Gremien und Organisationen sowie eine lange anhaltende öffentliche Debatte. Selbst auf unipolitischer Ebene war es uns als einer kleinen Gruppe von Studierenden möglich, eine nationale Debatte zu entfachen, die sich über Monate erstreckte und insgesamt etwa 150 Medienartikel und -auftritte hervorbrachte – damit erreichte die Vegi-Debatte hunderttausende Leute. Auch die Wirkung auf die lokale Bewegungsbildung war signifikant: Der Kern von Sentience Politics hat sich damals gefunden. Die Erfahrung, viel bewirken zu können (Impact!), motiviert und spannt die Leute ein.

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Lass uns weiter über das aktuelle Projekt Sentience Politics reden. Worum geht es?

Wie den “Sozis für Tiere” natürlich bekannt ist, hat der hohe Tierproduktekonsum negative Auswirkungen auf das Tierwohl, den Klimawandel, die Ressourceneffizienz, die Nord-Süd-Gerechtigkeit sowie die öffentliche Gesundheit. Darüber wollen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion anregen, um möglichst schnell möglichst viele Menschen von den wichtigen Argumenten – und von der Qualität der vegetarisch-veganen Küche – zu überzeugen. Die Politik scheint uns dazu ein sehr effektiver Weg zu sein. Die direkt-demokratischen Strukturen der Schweiz ermöglichen es uns wie erwähnt, mit relativ geringem Aufwand eine verbindliche Volksabstimmung zu erreichen und viel Medienaufmerksamkeit zu generieren, die das Anliegen in die gesellschaftliche Mitte trägt. Mit gut inszenierten und prominent unterstützten Petitionen lässt sich in indirekten Demokratien wohl Ähnliches bewerkstelligen. Ein Beispiel dafür: die Petition “Grundrechte für Menschenaffen” der Giordano Bruno Stiftung in Deutschland. Der Sentience-Politics-Grundgedanke “weniger Fleisch, mehr Pflanzliches” wird in der Schweiz auch prominent unterstützt – durch ein ehemaliges Regierungsmitglied, durch einige aktuelle Bundesparlamentsmitglieder sowie durch weitere Personen des öffentlichen Lebens. Ganz allgemein wollen wir uns durch die Initiative auch als politischer Akteur etablieren, der das kritisch-rationale Denken hochhält. Ein Merkmal rationaler Politik sind effiziente Problemlösungsansätze, das heißt: Statt einfach beruhend auf unserem (nachweislich oft fehlgeleiteten) Bauchgefühl einen Politikbereich zu wählen, den wir priorisieren wollen, sollten wir uns unvoreingenommen fragen: Was sind global die quantitativ größten und dringendsten Probleme und wie können wir mit unseren limitierten aktivistischen Ressourcen möglichst viele davon angehen, d.h. auf einen Schlag möglichst viel bewirken? Dieses Denken wollen wir fördern, denn es wird in der Politik noch kaum angewandt. Ein Beispiel: Der Klimawandel wurde zwar als dringendes Problem erkannt, aber es wird vorwiegend über Maßnahmen im Verkehr und Wohnbereich diskutiert, obwohl im Ernährungsbereich mit dem geringsten Aufwand die meisten Treibhausgase eingespart werden könnten. Das ist hochgradig irrational. Ein weiteres Beispiel: Tierschädigungen, die unnötig erfolgen, sehen wir normalerweise als Tierquälerei. Im Forschungsbereich zum Beispiel ist es nicht erlaubt, auch nur ein Tier zu töten, wenn es dazu geeignete Alternativen gibt. Und es gibt eine Bundespflicht, diese Alternativen zu fördern und die Tierversuche zu ersetzen, obwohl es in der medizinischen Forschung um Menschenleben geht, während beim Fleischkonsum höchstens etwas Gaumenspaß auf dem Spiel steht. Und obwohl 99% der getöteten Tiere “Nutztiere” in den Food-Industrien sind. Das geht nicht auf. Mit der Initiative wollen wir auf systematische Unvernunft dieser Art hinweisen.

 

Ihr habt einigen Staub aufgewirbelt, bereits viel Presse erzeugt und den Schmähpreis “Rostiger Paragraph” für “das dümmste und unnötigste Gesetz” gewonnen, den die rechtskonservative “IG Freiheit” verleiht. Zufrieden?

Ja, wir sind mit dem medialen Effekt zufrieden: Es wird regelmäßig berichtet und die Beiträge werden kontinuierlich positiver, was wohl auch auf unsere Pressekonferenzen und Medienarbeit zurückzuführen ist.

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Zum Rostigen Paragraphen: Als wir erfuhren, dass wir für den Rostigen Paragraphen nominiert wurden, haben wir uns gut überlegt, wie wir darauf reagieren wollen. Natürlich geht es stark negativ in die Gesamtrechnung ein, wenn in der Zeitung überall “dumm” und “unnötig” neben “vegan” steht. Aber wir dachten dennoch, die positiven Effekte überwiegen: Der Preis bot uns Gelegenheiten, medienwirksam über unsere Initiative zu informieren und aufzuzeigen, weshalb sie keineswegs unnötig ist oder die Freiheit unzulässig einschränkt – wie dies die IG Freiheit behauptet. Abgesehen vom rechten Rand der bürgerlichen Parteien steht zudem das ganze politische Spektrum der “IG Meine Freiheit” kritisch bis ablehnend gegenüber. Unsere Initiative wird ohnehin praktisch nur Leute ansprechen, bei denen die IG Freiheit negativ besetzt ist. Unter diesen Leuten hat die Preisverleihung, mit der sich die IG Freiheit als gemeinsamer “Feind” profilierte, wohl zu zusätzlichem Support geführt. Daher wollten wir den Preis nach der Nominierung auch gewinnen und haben entsprechend dazu aufgerufen, im Online-Voting für uns zu stimmen – wir hätten den Preis auch leicht abwenden können. Insofern hielt sich die Enttäuschung in Grenzen und die Preisverleihung war ja auch amüsant, wie das Video unter sentience-politics.org/de/medien zeigt.

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Aber zurück zur Argumentation: Eigentlich hätten wir nicht den Rostigen Paragraphen, sondern den Goldenen Freiheitsparagraphen erhalten sollen, denn unsere Initiative erhöht die Freiheit künftiger Generationen – die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind; sie erhöht die Freiheit der Hungernden – deren Lebensmittelpreise auch aufgrund unserer massiven Soja-Tierfutternachfrage steigen; sie erhöht die Freiheit derjenigen, die hierzulande an multiresistenten Keimen sterben, weil die Tierwirtschaft flächendeckend Antibiotika einsetzt; sie erhöhte ganz zentral die Freiheit der Tiere, die völlig unnötig eingepfercht und getötet werden, jährlich millionenfach; und sie erhöht die Freiheit der KonsumentInnen, die neu auch eine rein pflanzliche Option zur Wahl haben – und nachweislich mehr pflanzliche Menüs nachfragen, wenn sie leichter verfügbar sind. Selbst die NZZ – bekanntlich ein liberales Blatt – hat in einem Artikel kürzlich anerkannt, dass die Ernährung zu Recht zum Politikum werde.

 

Wie wird Sentience Politics weiter vorangetrieben?

Seit gut einem Monat läuft die Unterschiftensammlung in Basel. Bis Ende 2015 haben wir Zeit, 3’000 Unterschriften zusammenzukriegen, was gut erreichbar ist: Im ersten Monat haben wir 400 Unterschriften gesammelt. In der Stadt Bern versuchen wir, im Parlament eine Motion einzureichen, da uns einige ParlamentarierInnen unterstützen. In weiteren Städten laufen Abklärungen. Zudem stehen Medienauftritte an, u.a. beim Schweizer Fernsehen. Im September werde ich Sentience Politics vielleicht an der großen Tierrechtskonferenz in Luxemburg vorstellen können. Weiter arbeiten wir an optimierten Flyern und Broschüren. Unser Positionspapier und unsere Homepage werden auf Englisch, Französisch und Italienisch übersetzt und ich schreibe an einem Buch über Sentience, das hoffentlich im nächsten Jahr erscheinen wird. Sehr wichtig ist uns auch, die Idee des effektiven Spendens in der Vegi-Bewegung und der Gesellschaft allgemein zu etablieren. Dazu haben wir kürzlich eine “Matching Challenge” organisiert: Vier GrossspenderInnen haben uns zugesichert, alle während zwei Wochen bei uns eingehenden Spenden bis zu einem Betrag von 24’000 Franken zu verdoppeln. Wenn also jemand 1’000 Franken gespendet hat, wurde der Betrag von den “Matching Donors” auf 2’000 Franken verdoppelt. Nach zwei Wochen haben wir unser Ziel übertroffen, total 54’000 Franken gesammelt und so die Sentience-Aktivitäten bis Ende Jahr gesichert.

 

Wieso hältst du das effektive Spenden für wichtig? Genügt es nicht, wenn wir unseren Konsum verändern und uns für Tiere engagieren?

Manche denken intuitiv, dass es das Wichtigste sei, keine Tierprodukte zu konsumieren. Die Konsumveränderung ist zwar in der Tat wichtig, aber viel zu spenden wäre noch viel wichtiger: Viele Vegis würden zum Beispiel nicht zögern, jährlich – sagen wir – 1’000 Franken mehr auszugeben, um sich pflanzlich ernähren zu können, denn müsste man Fleisch essen, wäre dies schlimm, schlimmer als der Verzicht auf 1’000 Franken. Man würde also 1’000 Franken zusätzlich bezahlen, damit man selbst – eine Person – vegetarisch oder vegan konsumieren kann. Aber dann scheint es widersprüchlich, nicht auch 1’000 Franken zu spenden, wenn damit mindestens eine Person davon überzeugt werden kann, sich auch pflanzlich zu ernähren. Und die Daten legen nahe, dass dies gut möglich ist. Mit 1’000 Franken kann man zum Beispiel zehntausende Flyer verteilen lassen oder via Facebook-Anzeigen tausende Klicks auf Websites wie www.tiere-essen.ch generieren. Oder man kann damit eine NGO-Stelle mitfinanzieren, die medienwirksame Aktionen durchführt oder politische Vorstösse lanciert, deren Botschaft hunderttausende Menschen erreicht. Bei Sentience Politics unterhalten wir solche Stellen: Angenommen, eine Stelle bewirkt, dass jährlich bloß 50 Menschen zusätzlich zu Vegis werden, und kostet 50’000 Franken. Dann bewirkt eine Spende von 1’000 Franken 1/50 davon, also die Ernährungsumstellung einer Person. Und weil durchschnittliche Fleischesser während ihres Lebens mehrere hundert Tiere verzehren, rettet diese 1000-Franken-Spende hunderte Tiere. (Natürlich schlagen sich Nachfrageveränderungen nicht sofort in Angebotsveränderungen nieder, aber längerfristig sollte die Rechnung ungefähr stimmen.) Es mag surreal klingen, aber es scheint Tatsache zu sein: Die meisten SchweizerInnen und Deutschen verfügen über die Macht, abertausende Individuen zu retten – denn sie könnten es sich gut leisten, jährlich mehrere tausend Franken zu spenden. Dies zu tun ist sehr viel wichtiger als die eigene vegetarisch-vegane Ernährung. Ein weiteres Beispiel dazu: Angenommen, wir könnten ein ertrinkendes Ferkel aus einem Schlammteich retten – niemand sonst ist zugegen, die Rettung des Ferkels hängt einzig von unserer Entscheidung ab. Es gibt eine Komplikation: Wir haben gerade viel Geld abgehoben – 1’000 Franken, die wir nun in der Hosentasche tragen. Waten wir zur Rettung des Ferkels in den Schlammteich, opfern wir das Geld. Würden wir es tun? Tierethische Vegis würden nicht zögern, dies zu tun: Ein Tierleben ist gewiss viel mehr wert als 1’000 Luxusfranken für uns. Wenn wir aber 1’000 Franken ausgeben würden, um ein einziges Tier zu retten, dann sollten wir erst recht 1’000 Franken ausgeben, um hunderte Tiere zu retten! Alles andere wäre widersprüchlich. Wir wollen deshalb eine neue Spendenkultur entwickeln. Wir gehören zu den reichsten Menschen, die je auf diesem Planeten gelebt haben. Immer mehr Leute gehen daher dazu über, mindestens 10% ihres Einkommens an effektive Zwecke zu spenden. Junge Leute wählen dabei oft gezielt gut bezahlte Jobs, um noch mehr spenden zu können. Dieser Ansatz wird in der Berufswahl-Ethik unter dem Begriff “Earning to Give” diskutiert. Hohe Spenden sind für gross angelegte gesellschaftliche Überzeugungsarbeit nötig, denn aktuell besteht bei den meisten Organisationen, welche die pflanzliche Ernährung fördern – wie bei vielen progressiven NGOs –, eine riesige Lücke. Menschen zu finden, die sich gerne Vollzeit für die Sache engagieren würden, ist nie ein Problem. Die Finanzierung solcher Stellen hingegen fast immer. Das muss sich ändern.

 

Wie schätzt du die Erfolgsaussichten eurer Initiative ein?

Wir haben darauf geachtet, dass die Initiative realpolitische Chancen hat. Anders als beim Vegi-Mensa-Projekt haben wir weder ein Fleischverbot noch einen Vegi-Tag gefordert. Wir haben dabei auch von den deutschen Grünen gelernt, die im Sommer 2013 mit dem Vegi-Tag politisch durchgefallen sind. Wir berücksichtigen in unserer Initiative das durchaus hohe Gut der Konsumfreiheit, weshalb wir auch von vielen FleischesserInnen unterstützt werden – im Wesentlichen von allen, die der Meinung sind, dass es vernünftig wäre, den Tierkonsum zu reduzieren. Die Initiative fordert die Ausweitung des pflanzlichen Ernährungsangebots in öffentlichen Kantinen. Die Wahlfreiheit wird damit erweitert, nicht eingeschränkt. Weiter haben wir die Anteile der links-grün-grünliberalen Parteien in den Städten und Kantonen sowie das jeweilige Abstimmungsverhalten ausgewertet und sind zum Schluss gekommen, dass die Stadt Bern sowie der Kanton Basel-Stadt für unser Anliegen am erfolgsversprechendsten sind. Einige nationale und kantonale ParlamentarierInnen und Prominente unterstützen uns bereits und einiges wird wohl auch davon abhängen, ob sie sich im Wahlkampf für uns engagieren. Zuerst müssen wir natürlich erst einmal die Unterschriften zusammenkriegen. Obwohl wir moderate Forderungen formuliert haben und einige Unterstützung erfahren, ist ein Erfolg natürlich alles andere als gewiss, sondern wohl eher unwahrscheinlich. In der Schweiz werden auf Bundesebene 9 von 10 Initiativen abgelehnt. Dies hat auch mit der menschlichen Psychologie und insbesondere mit dem Status Quo Bias zu tun. Der Status Quo Bias ist ein systematischer kognitiver Fehler, der uns irrationalerweise dazu verleitet, den aktuellen Zustand einer Änderung vorzuziehen. Irrational ist die Entscheidung, wenn objektive Gründe für eine Veränderung sprechen, diese Gründe jedoch nicht beachtet oder falsch gewichtet werden. Der Status Quo Bias erklärt u.a., weshalb viele Menschen bei ethisch-politischen Fragen eine konservative Haltung zeigen und dadurch den gesellschaftlichen Fortschritt verlangsamen. Doch selbst wenn die Initiative nicht durchkommt, wäre das kein Argument gegen die Lancierung, denn jeder plausible Weg zum Ziel einer nachhaltigen und tierfreundlichen Gesellschaft führt wesentlich über die Politik. Wenn die Initiative nicht völlig abgeschmettert wird, dann gilt bestimmt: Je früher wir mit Initiativen beginnen, desto früher werden wir dann letztlich auch eine Initiative durchbringen.

 

Du bist nicht nur Co-Präsident der Giordano Bruno Stiftung Schweiz (GBS), sondern auch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Schweiz (SP). Allgemein und bezüglich Tiere: Sind das für dich ideell zwei verschiedene Bereiche oder gibt es Verbindungen?

Es gibt natürlich viele Überschneidungen. Wie für die GBS sind auch für die Sozialdemokratie die Werte der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit zentral. Die linken Parteien sind auch die einzigen, die sich an objektiven Gerechtigkeitsprinzipien wie der Unparteilichkeit orientieren, während die Bürgerlichen oft einfach die Partikularinteressen der Bessergestellten bedienen. Die Unterschiede zwischen der GBS und der Linken sind nicht in erster Linie Unterschiede zwischen der GBS und der Linken spezifisch, sondern betreffen die aktuelle Politik allgemein. Ich habe die allgemeine Unvernunft der aktuellen Politik erwähnt, die sich insbesondere darin ausdrückt, dass sie nicht unvoreingenommen und systematisch darüber nachdenkt, was die objektiv größten ethischen Probleme (und Prioritäten) sind und wie wir sie, gegeben unsere limitierten Ressourcen, maximal effektiv lösen können. Ein anderer Unterschied zwischen der GBS und der Linken ist ihr Verständnis der menschlichen Natur. Die GBS vertritt den evolutionären Humanismus. Evolutionäre HumanistInnen treten wie SozialdemokratInnen für Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Dezidierter als jene begreifen sie den Menschen jedoch nicht nur als ein Produkt der Kultur, sondern auch der biologischen Evolution. Mit seinen kognitiven Fähigkeiten ist der Homo sapiens zwar ein spezielles Tier, aber doch auch nur ein Tier unter Tieren, was sich in einem viel verantwortungsbewussteren Umgang auch mit den nicht-menschlichen unter ihnen niederschlagen sollte. Das kritisch-rationale Denken zusammen mit der normativen Grundlage des konsequenten Humanismus, der ethisch das Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen impliziert und damit über den Anthropozentrismus hinausweist, sind Gründe dafür, dass der Anti-Speziesismus und der Veganismus in der GBS weit akzeptierter sind als in der Linken, geschweige denn im gesamten politischen Spektrum. Dass die Linke (noch) nicht vegan-freundlicher ist, ist paradox, denn wie ich in dem Essay Der Veganismus und die politische Linke argumentiert habe, sprechen gerade aus Sicht der Linken gewichtige Argumente dafür, den Veganismus aufzunehmen. Die Nutztierhaltung ist eine Hauptursache des Klimawandels. Die UNO hält eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen um mindestens 50% bis 2050 für notwendig, um die schlimmsten Klima-Auswirkungen zu verhindern, und empfiehlt eine Ernährungsumstellung in Richtung vegan. Auch sozialpolitisch wirkt sich der Tierkonsum gravierend aus: Global werden 85% der Sojaernte und 35% der Getreideproduktion an Nutztiere verfüttert, was den Welthunger verschäft, an dessen Folgen täglich 20’000 Menschen sterben. Dem für den Tierfutter-”Bedarf” nötigen Soja-Anbau fallen nicht nur 70% des abgeholzten Amazonaswaldes, sondern auch kleinbäuerliche, indigene Bevölkerungen zum Opfer. Keine Linke, die ihren Namen verdient, kann diese Argumente ignorieren – sie sollten im Gegenteil völlig unbestritten sein. Insofern hätte selbst eine anthropozentrische Linke, welche die Interessen der Tiere (im Extremfall) gänzlich ignorierte, allen Grund, den Veganismus zu fördern. Doch auch der Speziesismus, d.h. die Mindergewichtung der Interessen von Individuen, die einer anderen (Tier-)Art angehören, ist mit den Grundsätzen linker Politik eigentlich unverträglich. Schweine sind nach dem aktuellsten Forschungsstand mindestens so sensibel und intelligent wie Hunde – sie hören ebenfalls auf ihre Namen, können insgesamt mehr Kommandos lernen und mit Spiegeln umgehen. Doch sie werden (wenn’s hoch kommt) so gehalten:

[responsive]Eingesperrte Schweine[/responsive]

Wer würde zögern, dies als Tierquälerei zu verurteilen, wenn Hunde betroffen wären? Weshalb diese Schizophrenie? Bei 0.1-1% der Schweine versagt bei der Schlachtung zudem die Kohlendioxidbetäubung, weshalb alleine in Deutschland jährlich 58’000 Schweine bei Bewusstsein verbrüht werden. Und mit welcher Berechtigung erfolgt die unnötige Tötung an sich, die wir bei menschlichen Tiere niemals tolerieren würden? (“Bio” endet ja allerspätestens im Schlachthaus.) Sehen die Schweine etwa “falsch” aus? Haben sie die “falsche” DNA? Die “falsche” Anzahl Beine? Diskriminierung aufgrund geno- oder phänotypischer Eigenschaften kann ja nicht unser Ernst sein, denn sie koennte auch den Rassismus oder den Sexismus legitimieren. Und zu allerletzt kann der Speziesismus nicht der Ernst der Linken sein, für die der politische Kampf gegen willkürliche Unterdrückung und Diskriminierung historisch doch so zentral ist. Ausgerechnet dort nun, wo wir es mit den Schwächsten zu tun haben und wo die Ausbeutung total ist, soll die Linke untätig bleiben? Rassismus, Sexismus und Homophobie nein – Speziesismus ja? Es braucht Initiativen wie “Sozis für Tiere”, die diesen Widerspruch korrigieren. In diesem Sinne wünsche ich euch viel Erfolg![gap]
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Adriano Mannino

Adriano Mannino ist Co-Präsident der Giordano Bruno Stiftung Schweiz, die das Projekt Sentience Politics lanciert hat. Er studiert Philosophie an der Uni Bern und schreibt als Autor u.a. für den Philo-Blog von NZZ Campus sowie an einem Buch über Sentience Politics. Daneben hat er bei zahlreichen Projekten in den Bereichen Rationalität und Ethik mitgewirkt, etwa bei Effective Altruism Switzerland.[/four_fifth_last]

Positionierung Sozis für Tiere: