Ist es legitim, nichtmenschliche Tiere für unsere Zwecke zu nutzen, sie gefangen zu halten, zu töten oder Experimente mit ihnen anzustellen?
Prelude: Eine Tierethik für die Sozialdemokratie?!
2017 wurden in Deutschland 745 Millionen Tiere zu Nahrungszwecken getötet. Eine eindeutige sozialdemokratische Einstellung zu Tieren scheint es nicht zu geben: Karl Marx, Friedrich Engels, August Bebel, Rosa Luxemburg, Willi Eichler und viele andere sowie die christlich-jüdische Tradition gaben höchst unterschiedliche Antworten auf das Verhältnis zu Tieren. Und heute? Die SPD scheint zunächst nicht kritik- und ideologiefähig, weil sie nicht erkennt, dass sie in einer Ideologie der Produktion und Konsumption von Tieren als etwas vermeintlich natürliches, notwendiges und unhinterfragbares verhaftet ist. Aber immer mehr Menschen fragen, angetrieben durch den Blick in die Tierfabriken, den tierethischen und gesellschaftskritischen Fragestellungen, den pflanzlichen Alternativen und Umwelt- und Klimaschäden: (Wie lange) wollen wir noch Tiere produzieren?
Schließlich erhält die Frage durch die Entwicklungen von In-Vitro Fleisch neue Sprengkraft. Höchste Zeit also sich ernsthaft mit Tierethik und der Notwendigkeit der Überwindung der Ausbeutung vertraut zu machen. Neben Das Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische, pazifistische und linkssozialistische Traditionen (Rezension) sowie Klaus Petrus: Tierrechtsbewegung. Geschichte – Theorie – Aktivismus (Rezension) bietet vor allem Friederike Schmitz mit dem Sammelband Tierethik (2014) einen wissenschaftlichen und philosophischen Ansatzpunkt. Von den genannten Büchern ist es mit Abstand das anspruchsvollste.
Rezension des Sammelbandes Tierethik
Warum lohnt sich die Lektüre? Da ist zunächst die starke Einführung in die Tierethik von Friederike Schmitz selbst. Sie schafft es einerseits die Notwendigkeit der Auseinandersetzung drastisch und empathisch hervorzuheben, andererseits aber auch die Debattenstränge geschichtlich und inhaltlich einzuordnen. Die folgenden Beiträge, teilweise erstmals in Deutsch erschienen, wurden in die Bereiche 1. Eigenschaften und moralischer Status von Tieren, 2. Einstellungen und moralische Beziehungen zu Tieren und 3. Gesellschaftlicher Kontext und politische Theorie eingeordnet. Darunter finden sich natürlich die Klassiker der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung wie Singer oder Regan sowie weitere Autor*innen mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Aber auch die Befreiung der Tiere ablehnende Beiträge wie etwa Peter Carruthers: Warum Tiere moralisch nicht zählen bieten einige Argumente für die nächste Diskussion.
Vor allem der dritte Bereich kann für kritische Genoss*innen praktisch sein. Die Texte Brian Luke: Selbstzähmung oder Verwilderung? Für eine nicht-patriarchalische Metaethik der Tierbefreiung, Birgit Mütherich: Die soziale Konstruktion des Anderen: Zur soziologischen Frage nach dem Tier, Ted Benton: Tierrechte. Ein ökosozialistischer Ansatz, Bob Torres: Eigentum, Gewalt und Ursprünge der Unterdrückung sowie Sue Donaldson und Will Kymlicka: Von der Polis zur Zoopolis. Eine politische Theorie der Tierrechte stellen wichtige Bausteine für die Grundlage einer emanzipativen Politik abseits der Käfigethik, d.h. abseits der Bestätigung der Verhältnisse, dar.
Eine Tierethik für die Sozialdemokratie? Nicht eine, sondern viele!
Mit Richard David Precht und Hilal Sezgin dürfte Friederike Schmitz die bekannteste Tierethikerin im deutschsprachigen Raum sein. In einem Interview haben wir sie gefragt, an welchen Theorien Sie ihr Handeln orientiert und welche Erwartungen Sie an die Parteien hat.