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Schreiben von Sozis für Tiere an das SPD-Sondierungsteam:

Liebe Genossinnen und Genossen,

kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode sagte unsere stellv. Vorsitzende der Fraktion für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie Ernährung und Landwirtschaft, Ute Vogt, in einer Bundestagsdebatte:

„Aus Tierschutzgründen brauchen wir dringend eine andere Bundesregierung“[1]

Wir teilen diese Einschätzung! Mit der Union wird weiterhin wenig möglich sein. Zwar hat auch die SPD den Tierschutz noch viel zu wenig im Blick – im letzten Wahlprogramm gab es aber erfreuliche Entwicklungen in diesem Bereich.

Wir wollen diesen Weg in großen Schritten weitergehen, denn eine Sozialdemokratie die sich den Zukunftsfragen stellt, muss sich viel grundsätzlicher mit der Tier-Mensch-Beziehung und der Kritik an der Tierproduktion auseinandersetzen.

Nicht nur gibt es sozialdemokratische Vordenker*innen wie Rosa Luxemburg[2] oder Willi Eichler[3], auch immer mehr Menschen heutzutage spüren ein großes Unbehagen angesichts der Ausbeutung der Tiere. Die SPD muss die Tiernutzungsideologie, die hinter den Begriffen Tierwohl & Artgerecht steht, hinterfragen. Keinesfalls darf Sie sich mit dem Ziel einer zukunftsfähigen Nutztierhaltung zufriedengeben – radikaler, aber auch viel fruchtbarer ist es, Alternativen zur Tierproduktion zu unterstützen und weiterzuentwickeln

Der Wandel hin zu einer Landwirtschaft ohne Tierleid ist aber auch aus anderen Gründen sinnvoll. Das Klimaschutzgutachten der Bundesregierung nennt für das Referenzjahr 2006 bei einer Ernährung gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung[4] eine Einsparung an CO2-Äquivalenten von 9%, bei vegetarischer Ernährung von 20% und bei einer veganen Ernährung sogar von 38%![5] In Anbetracht dieser Zahlen muss die SPD steuernd eingreifen und pflanzlichere Ernährungsstile unterstützen und die Produzenten von Tierprodukten endlich den realen Preis ihres Handelns zahlen lassen. Keineswegs darf sie es bei FB-Posts zum Weltvegetariertag[6] oder der Einführung einer rechtssicheren Kennzeichnung vegetarisch/vegan belassen.

Wir wünschen uns eine SPD, die mit der Zeit geht. Mit einer unbeweglichen Union wird es nicht gehen, wie die Vergangenheit bereits zeigte: Der Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) verweigerte sich gesetzlichen Verboten und setzte vor allem auf „freiwillige Verbindlichkeit“. Er kündigte an und lieferte nicht. Keineswegs ist von ihm eine Unterstützung in der Reduktion der Tierproduktion oder von pflanzlichen Ernährungsstilen zu erwarten. Der Tierschutzbeauftragte der Union war eher ein Tierschutzverhinderungsbeauftragter und die Unionsfraktionsgemeinschaft ließ ihren Minister bei minimalsten Verbesserungen im Regen stehen. Mit dieser Union lassen sich keine wesentlichen Verbesserungen erzielen!

Statt erneut geschwächt aus einer großen Koalition hervorzugehen, sollten wir diese Legislatur vielmehr nutzen um die SPD zu erneuern und unsere Tierschutzpolitik zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Aus Tier-, Umwelt- und Klimaschutzsicht können wir in einer Großen Koalition nichts maßgeblich verändern.

Dieser Brief wurde auf sozis-tiere.de veröffentlicht.

Freundschaft

 

Stefan Sander                                              Ramona Kopec

 

Anhang

„Sozialismus heißt ausbeutungsfreie Gesellschaft – frei von jeder Ausbeutung. Aus-beutung ist auf verschiedene Weise möglich: Der Kapitalist beutet den Proletarier aus, dieser sehr oft seine Frau und Kinder; die Kirche steht als Bundesgenossin dabei und hilft mittels der von ihr betriebenen geistigen Ausbeutung, das heutige System der gesellschaftlichen Ausbeutung am Leben zu erhalten. Das Gemeinsame all dieser Ausbeutungsarten liegt in der Mißachtung der Interessen anderer Wesen, in der Ver-letzung ihrer Rechte – kurz darin, daß sie auf Grund eines bloßen Gewaltverhältnisses zu persönlichen Zwecken mißbraucht werden. Daß solch ein widerrechtliches Gewalt-verhältnis besteht zwischen den kirchlichen Hirten und ihren Herden, zwischen Kapi-talisten und Proletariern und zwischen den imperialistischen Staaten und ihren Kolo-nien, wird heute von fast allen denkenden Menschen zugegeben. Aber wer denkt daran, welch ungeheure Ausbeutung darin liegt, harmlose Tiere zu morden, nur, um sich mit deren Fleisch einen Gaumenkitzel zu verschaffen?“
Auszug aus dem Essay „Sogar Vegetarier“ (1926)[7] von Willi Eichler dem späteren „Cheftheoretiker“ der deutschen Nachkriegssozialdemokratie

„Ach, Sonitschka, ich habe hier einen scharfen Schmerz erlebt; auf dem Hof, wo ich spaziere, kommen oft Wagen vom Militär, voll bepackt mit Säcken oder alten Solda-tenröcken und Hemden, oft mit Blutflecken . . . die werden hier abgeladen, in die Zellen verteilt, geflickt, dann wieder aufgeladen und ans Militär abgeliefert. Neulich kam so ein Wagen, bespannt, statt mit Pferden mit Büffeln. Ich sah die Tiere zum erstenmal in der Nähe. Sie sind kräftiger und breiter gebaut als unsere Rinder, mit flachen Köpfen und flach abgebogenen Hörnern, die Schädel also unseren Schafen ähnlicher, ganz schwarz mit großen sanften Augen. Sie stammen aus Rumänien, sind Kriegstrophäen … die Soldaten, die den Wagen führen, erzählen, daß es sehr müh-sam war, diese wilden Tiere zu fangen und noch schwerer, sie, die an die Freiheit gewöhnt waren, zum Lastdienst zu benutzen. Sie wurden furchtbar geprügelt, bis daß für sie das Wort gilt »vae victis« … An hundert Stück der Tiere sollen in Breslau allein sein; dazu bekommen sie, die an die üppige rumänische Weide gewöhnt waren, elendes und karges Futter. Sie werden schonungslos ausgenutzt, um alle möglichen Lastwagen zu schleppen und gehen dabei rasch zugrunde. Vor einigen Tagen kam also ein Wagen mit Säcken hereingefahren, die Last war so hoch aufgetürmt, daß die Büffel nicht über die Schwelle bei der Toreinfahrt konnten. Der begleitende Soldat, ein brutaler Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstie-les loszuschlagen, daß die Aufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte! »Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid!« antwor-tete er mit bösem Lächeln und hieb noch kräftiger ein … Die Tiere zogen schließlich an und kamen über den Berg, aber eins blutete … Sonitschka, die Büffelhaut ist sprich-wörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die war zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz still erschöpft und eins, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen, wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der ro-hen Gewalt entgehen soll … ich stand davor und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter es waren seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. Wie weit, wie unerreichbar, verloren die freien, saftigen, grünen Weiden Rumäniens! Wie anders schien dort die Sonne, blies der Wind, wie anders waren die schönen Laute der Vögel oder das melodische Rufen der Hirten. Und hier diese fremde, schaurige Stadt, der dumpfe Stall, das ekelerregende muffige Heu mit faulem Stroh gemischt, die fremden, furchtbaren Menschen, und die Schläge, das Blut, das aus der frischen Wunde rinnt …
O, mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohn-mächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht.
Derweil tummelten sich die Gefangenen geschäftig um den Wagen, luden die schweren Säcke ab und schleppten sie ins Haus, der Soldat aber steckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff leise einen Gassenhauer. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei …
Schreiben Sie schnell, ich umarme Sie, Sonitschka.“
Rosa Luxemburg im „Büffelbrief“ (1917)[8]

 

 

[1] Debatte vom 15.05.2017 über ein Verbot des Tötens trächtiger Rinder und einer Einschränkung der Pelztierzucht, https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7111015&url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk=&mod=mediathek

[2] http://gutenberg.spiegel.de/buch/-2090/18 und Anhang

[3] https://sozis-tiere.de/sogar-vegetarier und Anhang

[4] Nach der DGE sollte der Fleischkonsum pro Woche bei 300 bis 600 g liegen: http://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/.

[5] Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz und Wissenschaftlicher Beirat Waldpolitik beim BMEL (2016): Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft sowie den nachgelagerten Bereichen Ernährung und Holzverwendung. Gutachten. Berlin, S. 210

[6] https://www.facebook.com/SPD/photos/a.73469452748.75861.47930567748/10153976731542749/?type=3

[7] https://sozis-tiere.de/sogar-vegetarier

[8] http://gutenberg.spiegel.de/buch/-2090/18