Der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Hans-Heinrich Bass diskutiert in diesem Gastbeitrag, welchen Nutzen die Streichung der Steuerprivilegierung von Fleisch erzeugt, welche Einwände es gibt und wie diesen begegnet werden kann. Infomaterial sowie einen Musterantrag zum Thema findest du bei der Kampagne Steuerprivilegien für Fleisch streichen!
Ob T-Shirt oder Schnitzel, Buch oder Zigaretten – bei allen Einkäufen bezahlen wir Verbrauchssteuern. Die Steuersätze sind allerdings unterschiedlich hoch. Der Regelsatz der Mehrwertsteuer beträgt 19 % des Nettopreises, beim Schweineschnitzel oder beim Buch sind es 7 %. Bei Zigaretten kommt zur regulären Mehrwertsteuer noch die Tabaksteuer hinzu. Warum diese Unterschiede?
Wer eine Zigarette raucht, ist sich der Schädlichkeit entweder nicht bewusst oder nimmt die Folgen in Kauf. Deshalb wird ohne staatlichen Eingriff „zu viel“ konsumiert – gemessen an einem informierten und rationalen Konsumverhalten. Außerdem gibt es Nachteile für Nicht-Konsumierende. So trägt die Solidargemeinschaft die Krankheitskosten der Menschen, die rauchen. Man spricht von negativen externen Effekten. Um diese auszugleichen und eine Verhaltensänderung zu erreichen, verteuert der Staat das Rauchen. Der Steueranteil pro Schachtel Zigaretten kann bis zu 90 % des Verkaufspreises betragen.
Andererseits wird der Kauf eines Buches subventioniert, indem der Staat auf einen Teil der regulären Mehrwertsteuer verzichtet. Die Begründung ist, dass Bücher sonst „zu wenig“ gelesen würden. Die private Nachfrage bleibt hinter dem gesellschaftlich gewünschten Maß zurück. In der Wissenschaft spricht man von einem meritorischen Gut. Lesen führt zudem über ein höheres Bildungsniveau auch zu höherer Arbeitsproduktivität, was letztlich allen nutzt. Dieser positive externe Effekt wird ebenfalls durch die Steuerermäßigung berücksichtigt.
Ein Schnitzel ist kein Buch
So plausibel die steuerliche Behandlung von Büchern und Zigaretten ist – so wenig plausibel ist sie beim Fleisch. Von ihren Konsumwirkungen her sind Tabak und Fleisch ähnlich – steuerlich aber wird das Schnitzel dem Buch gleichgestellt und subventioniert, indem das Finanzamt auf einen Teil der regulären Mehrwertsteuer verzichtet. Fleisch ist aber kein meritorisches Gut. Im Gegenteil: Eine informierte und rationale Verbraucherschaft würde ihren Fleischkonsum drastisch reduzieren. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät allein aus gesundheitlichen Gründen zu einem Jahresverbrauch von höchstens 15 bis 30 kg; der deutsche Pro-KopfVerbrauch ist allerdings doppelt so hoch.
Der Fleischverzehr hat auch erhebliche negative Effekte für Nicht-Konsumierende. Fehlernährung führt zu Krankheitskosten, die von der Solidargemeinschaft getragen werden. Nicht in den Produktionspreis von Fleisch eingerechnet werden auch Kosten der Umweltnutzung – Ammoniak-Eintrag in die Atmosphäre, Nitrat-Eintrag ins Grundwasser und Biodiversitätsverlust durch großflächige Futtermittelproduktion. Schließlich ist tierbasierte Ernährung nach Berechnungen der Vereinten Nationen verantwortlich für 15 % der globalen Emissionen von Treibhausgasen – das entspricht den Emissionen aller Schiffe, Autos und Flugzeuge weltweit. Auch führt der in reichen Ländern wie Deutschland hohe und in Schwellenländern wie China zunehmende Tierverzehr zu einer Verknappung von Nahrung für Menschen in den ärmeren Ländern: Mais und Soja werden als Tierfutter exportiert anstatt von Menschen konsumiert.
Eine verantwortliche Politik muss die Auswirkungen des Fleischverzehrs auf die Gesundheit der Einzelnen, die Finanzierung des Gesundheitssystems, die Umwelt und die globalen Ernährungsungleichgewichte berücksichtigen und die steuerliche Privilegierung des Fleischkonsums beenden.
Ein einfacher Streichvorgang mit starken Wirkungen
Der Verzicht auf die reguläre Mehrwertsteuer beim Fleisch ist eine ungerechtfertigte Subvention. Die Korrektur dieses Fehlers kann durch einen einfachen Streichvorgang geschehen. Die Aufhebung des Steuerprivilegs führt in einer ersten Runde zu einem elfprozentigen Anstieg des Verbrauchspreises. Wie stark die davon ausgehende Lenkungswirkung sein wird, lässt sich anhand von Haushaltsdaten vorhersagen. Mit Daten der GfK-Marktforschung aus Einkäufen von 20.000 Haushalten (2004 bis 2008) lässt sich schätzen, dass der Fleischkonsum um etwa 5 % sinken würde. Das wären 3 kg pro Kopf – oder in „Schweineäquivalenten“ über 3 Millionen Tiere pro Jahr, denen die Existenz als „Fleischlieferanten“ erspart bliebe.
Entgegnungen auf 4 Einwände
Gegen die Streichung des Steuerprivilegs für Fleisch gibt es Einwände. Erstens wird die regressive Wirkung kritisiert. Während nämlich die Reicheren ihren Fleischkonsum unverändert fortführen könnten, würden die Ärmeren zum Verzicht gedrängt. So gibt es Schätzungen, dass der Fleischkonsum in Haushalten mit hohem Einkommen um 4 % sinken würde, aber in Haushalten mit geringem Einkommen um 9 %. Da die Ernährungsqualität in ärmeren Haushalten allerdings oft schlecht ist, würde durch solche Verschiebungen sogar eine gesündere Ernährung befördert! Eine sozial unterschiedliche Wirkung gibt es im Übrigen bei allen Verbrauchssteuern; mit demselben Argument könnte man Steuern auf Alkohol und Tabak kritisieren.
Ein zweiter Einwand betrifft Substitutionseffekte. Der Konsum von konventionell erzeugtem Fleisch könnte den Konsum von Biofleisch verdrängen. Dieser Effekt ist wahrscheinlich, weil die Gruppe, die Biofleisch kauft, viermal stärker auf eine Preiserhöhung reagiert als die, die konventionell erzeugtes Fleisch kauft. Der Effekt könnte jedoch mit einer Ausnahmeregel für Biofleisch ausgehebelt werden. Des Weiteren könnte der Konsum von billigeren Fleischsorten (Geflügel) den Konsum von teureren Fleischsorten (Rind) verdrängen. Dies ist unter Tierschutzgesichtspunkten tatsächlich ein Problem. Begleitende Regeln sind daher nötig.
Ein dritter Einwand zielt auf Vermeidungseffekte: Landwirtinnen und Landwirte könnten zur Kostensenkung die Lebensbedingungen der Tiere verschlechtern. Auch vermehrte Billig-Importe sind denkbar. Das zeigt ebenfalls, dass die Abschaffung des Steuerprivilegs durch weitere Maßnahmen ergänzt und europaweit koordiniert werden müsste. Durch den aktuellen Vorschlag der Europäischen Kommission zur Umsatzsteuerharmonisierung ist Raum für politisches Handeln vorhanden.
Schließlich können durch die Reduktion des Tierverbrauchs finanzielle Verluste für Beschäftigte in Landwirtschaft und Fleischindustrie entstehen sowie einige Hundert Jobs in Schlachthöfen verloren gehen. Dem ist entgegenzuhalten, dass es keine Bestandsgarantie für Unternehmen durch ungerechtfertigte Subventionen geben darf. Ein Teil der zu erwartenden Steuermehreinnahmen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro pro Jahr könnte aber den Strukturwandel sozial abfedern.
Prof. Dr. Hans-Heinrich Bass
Der Wirtschaftswissenschaftler und -historiker ist Professor für Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Bremen. Er ist Mitglied im Auswahlausschuss der Studienförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung und Unterstützer von Sozis für Tiere.
Der Artikel erschien zuerst im Proveg Magazin.
Infomaterial sowie einen Musterantrag zum Thema findest du bei der Kampagne Steuerprivilegien für Fleisch streichen!