Liebe Karin,
für deine Antwort vom 31.05.2016 möchten wir dir herzlich danken. Auch uns ist an einem respektvollen Austausch gelegen. Wir haben im Folgenden versucht, deine Kritikpunkte und Anmerkungen aufzugreifen. Wenn dennoch Fragen bleiben oder wir dich noch nicht überzeugt haben, schreib uns gerne noch einmal.
Keine Ignoranz
Zunächst möchten wir zwei Punkte ansprechen, die dich anscheinend geärgert haben. Zum einen das Begriffspaar „vegan-vegetarisch“, denn „vegan und vegetarisch sind zwei paar Schuh“ und zum anderen der vermeintliche Vorwurf unsererseits, dass alle die bestreiten, die vegane Ernährung sei vollwertig, ignorant seien. Wir nehmen an, du beziehst dich dabei vor allem auf unsere Pressemitteilung und unser Statement „Wir sollten uns endlich von jahrzehntealten Vorurteilen in der Bewertung der vegetarischen und veganen Ernährung freimachen“.
Die Verwendung des Begriffspaars vegan-vegetarisch findet sich häufig. Veganer werden auch manchmal noch „Strenge Vegetarier“ genannt (lebensmittellexikon.de). Die Vegane Ernährung wird als eine Unterform der vegetarischen Ernährung beschrieben (Wikipedia) und insofern findet sich diese Art der Beschreibung auch in der Stellungnahme der ADA:
»Es ist die Position der Academy of Nutrition and Dietetics, dass gut geplante vegetarische Ernährungsformen, inklusive streng vegetarischer oder veganer Ernährungsformen, gesund und nährstofftechnisch angemessen sind sowie Gesundheitsvorteile bezüglich der Prävention und Behandlung von gewissen Gesundheitszuständen haben können. Gut gestaltete vegetarische Ernährungsformen sind für Personen während aller Lebensabschnitte, inklusive Schwangerschaft, Stillzeit, Säuglingsalter, Kindheit und Jugend sowie für SportlerInnen geeignet.«
Die Organisationen, die sich v.a. aus Tierschutzgründen für eine vegetarische Ernährung einsetzen, sehen diese meist als Zwischenschritt zu einer veganen Ernährung. Eine ovo-lakto vegetarische Ernährung und eine vegane Ernährung sind sowohl aus Gründen der Tiergerechtigkeit als auch des Umwelt- und Klimaschutzes sowie ernährungsphysiologisch unterschiedlich zu beurteilen, insofern stimmen wir dir zu. Allerdings müssen wir die Begriffe auch nicht unnötig trennen, wo das, was ausgedrückt werden soll, auf beide Ernährungstypen zutrifft.
Im Kontext einer vegetarischen Ernährung ist unser Ausdruck der „jahrzehntealten Vorurteile“ in dem Kapitel 7.1 „Paradigmenwechsel: Von der Risiko- zur Nutzenbewertung vegetarischer Kostformen“ in dem Buch Vegetarische Ernährung von Leitzmann und Keller gut dokumentiert. Allerdings war unser Begriff der Vorurteile leider ungenau, denn wir müssen Vorurteile von früheren und später revisionierten Urteilen zur Nutzenbewertung einer vegetarischen oder veganen Ernährung voneinander trennen. Auf frühere Urteile zu einer veganen Ernährung gehen wir später noch ein.
Keinesfalls wollen wir dir oder irgendwem anders Ignoranz unterstellen. Uns geht es eher darum, kritisch nach Gründen und Argumenten für Standpunkte zu fragen.
Gesundheitliche Aspekte einer veganen Ernährung
Bevor wir auf weitere Aussagen deiner Antwort eingehen, möchten wir noch einmal an dein ursprüngliches Statement erinnern: Veganismus ist Mangelernährung. Mit diesem Statement machst du es Menschen, die sich ausgewogen und gesund vegan ernähren wollen, nicht einfacher. Denn natürlich gilt das Wort einer Veterinärin und Bundestagsabgeordneten einiges und wieso sollte sich irgendwer für das verbesserte Angebot einer vermeintlichen Mangelernährung einsetzen? Deine absolute Aussage ist durch unsere, in der vorhergehenden Mail genannten Studien, allerdings nicht gedeckt. Kanntest du diese Studien bei Verfassung deines Statements zur veganen Ernährung? Und falls nicht, auf welche Studien stützt du deinen Standpunkt Veganismus sei Mangelernährung?
UGB und die Vollwerternährung
Weiterhin hast du dich in deinen Ausführungen auf den Begriff „vollwertig“ gestützt. Was verstehst du darunter? Bereits in unserer ersten Stellungnahme haben wir auf den UGB – Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung und eine seiner Fortbildungen hingewiesen. Der Verband wird u.a. wie folgt vorgestellt: „Der Verband hat nach seiner Ansicht durch seine Arbeit entscheidend dazu beigetragen, dass das Konzept der Vollwerternährung in den 1990er Jahren in wesentlichen Teilen in die Ernährungsempfehlungen der (DGE) aufgenommen wurde.“ (Wikipedia)
Die Fortbildung, auf die wir hingewiesen haben, heißt „Weiterbildung in veganer Vollwert-Ernährung“. Zumindest nach der UGB scheint eine vollwertige vegane Ernährung also gut möglich zu sein.
DGE und die Vollwerternährung
Kritik an einer veganen Ernährung wird in Deutschland häufig mit Verweis auf die DGE geäußert. Interessanterweise schreibt die DGE zu einer vollwertigen Ernährung: „Vor dem Hintergrund der Häufigkeit von Übergewicht und ernährungsmitbedingten Krankheiten in Deutschland ist die Aufklärung über eine bedarfsgerechte, ausgewogene und gesunderhaltende Ernährung daher von besonderer Bedeutung.“ Da sich aber nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung in Deutschland vegetarisch oder vegan ernährt (VEBU: 10 % vegetarisch, 1,1 % vegan) scheint es daher auch im omnivoren Teil der Bevölkerung zu Mangel- und/oder Fehlernährung zu kommen.
B12 kurz außen vorgelassen: Sowohl Veganer*innen, als auch Vegetarier*innen oder Omnivor*innen können sich also mangel- und/oder fehlernähren. Wieso definierst du gerade vegane Ernährung als Mangelernährung, wenn man das mit der gleichen Rechtfertigung auch bei einer omnivoren oder vegetarischen Ernährung tun könnte?
Vorurteile bei der DGE
Darüber hinaus hat die DGE bezüglich einer veganen Ernährung bei Kindern negative Empfehlungen ausgesprochen, die teils auf einem inhaltlich falschen Verständnis der veganen Ernährungsweise basieren.
Hier ein Link zur kritischen Auseinandersetzung mit der Expertise der DGE: tofufamily.de: Veraltet, einseitig und unprofessionell: Die große Petition gegen die DGE!
B12 für Menschen und Tiere
Machst du deinen absoluten Begriff der Mangelernährung am Vitamin B12 fest? Die bedeutendsten NGOs, die sich in Deutschland für eine vegane Ernährung einsetzen, der VEBU und die Albert-Schweitzer-Stiftung, setzen sich für eine Supplementierung ein. Eine umweltfreundliche und tiergerechte Ernährung muss unserer Meinung nach nicht aufgrund eines Vitamins bekämpft werden, welches beispielsweise auch durch die Verwendung einer bestimmten Zahnpasta zugeführt werden kann. Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Tiere.
In dem Kommentar „Besser Pillen als Schwein. Dass Veganer*innen Vitamin B12 nehmen müssen, ist nicht neu. Wer ständig davon redet, weiß nicht, was bei Tieren so alles in den Trog kommt“ hat Hilal Sezgin die Supplementierung der Ernährung von Schweinen diskutiert.
Forschung unterstützen
Die DGE hat vor kurzem eine neue, ausführliche Positionierung zu einer veganen Ernährung verfasst. Sie hat zudem eine Fragen & Antworten zu dieser Positionierung veröffentlicht. Auf die Frage „22. In anderen Ländern wird eine vegane Ernährung nicht so kritisch gesehen, sondern sogar für alle Altersgruppen empfohlen. Wie könnten sich die unterschiedlichen internationalen Empfehlungen für die vegane Ernährung erklären?“ wird unter anderem geantwortet: „[…] Es gibt jedoch nur wenige aussagekräftige Studien, die zur Beurteilung der ernährungsphysiologischen Qualität sowie zur Sicherheit einer veganen Ernährung, vor allem für Personen in sensiblen Lebensphasen (Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder, Jugendliche) herangezogen werden können. Auch zur Nährstoffversorgung vegan lebender Menschen, insbesondere in Deutschland, ist wenig bekannt, was eine Beurteilung erschwert und entsprechende Untersuchungen notwendig macht.“
Auch vor diesem Hintergrund halten wir die Forderung nach einer Stiftungsprofessur zur Untersuchung der veganen Ernährung in der Nähe des IFANE (Institut für alternative und nachhaltige Ernährung) der SPD Hessen-Nord (R1:“Landwirtschaftspolitik neu denken – ökologisch, nachhaltig und vor allem sozial!“, 2014, Z. 210) für unterstützenswert. Nun haben wir unterschiedliche Einstellungen zu einer veganen Ernährung und die DGE ist der Ansicht, dass es mehr Untersuchungen bräuchte. Kannst du dir vorstellen, dieses Anliegen zu unterstützen?
Sojaprotein
Du hast zudem die Frage aufgeworfen, „ob Sojaprotein alle 20 essentiellen Aminosäuren enthält“. Zunächst einmal sind wir nicht der Ansicht, dass irgendwas durch Soja ersetzt werden muss – eine ausgewogene vegane Ernährung ohne Soja ist möglich. Zu deiner eigentlichen Frage:
Ja, Sojaprotein enthält alle essentiellen Aminosäuren, wie auch Kartoffeln, Bohnen u. Erbsen und Erdnüsse und viele andere (Schormüller 2013). Allerdings haben diese pflanzlichen Lebensmittel eine unterschiedliche biologische Wertigkeit, wobei Sojabohnen mit 86% die höchste biologische Wertigkeit haben. Wir brauchen zwar alle essentielle Aminosäuren, die Proteinquellen können allerdings in einer Mahlzeit oder über den Tag kombiniert werden, sodass eine höhere biologische Wertigkeit erreicht wird. Ideal ist beispielsweise die Kombination von Bohnen und Mais. Für den Menschen sind, je nach Quelle, 8-9 (!) Aminosäuren essentiell.
Einige Quellen auf denen wir uns zu dieser Frage einen Überblick verschafft haben:
- http://www.bevegt.de/eiweiss-protein-vegetarier-veganer/
- http://www.highfive-vegan.org/makronaehrstoffe/protein/
- https://www.marathonfitness.de/eiweissquellen-proteinquellen-veganer/
- http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2000/320/original/bedeut.htm
- Schormüller, J.: Lehrbuch der Lebensmittelchemie 2013 (S. 41)., https://books.google.de
Landwirtschaft
Bei dem Thema Landwirtschaft haben wir wohl aneinander vorbeigeredet. In der ursprünglichen Meldung „Habeck: Tötung von Nutztieren ist nicht mehr zu rechtfertigen“ heißt es unter anderem: „Die Tierhaltung diene heute nicht mehr der Versorgung mit lebensnotwendiger Nahrung“. Du schreibst in deinem Antwortschreiben, dass es dir nicht um tierlose Landwirtschaft ging. Aber wenn die Kritik Habecks ernstgenommen wird, dann kann es nicht darum gehen, eine vegetarische Landwirtschaft zu etablieren. Wenn die lebensnotwendige Nahrung auch ohne Tierhaltung hergestellt werden kann, dann ist das Erreichen einer solchen Versorgung, und nicht die Etablierung einer vegetarischen (hier: ovo-lakto-vegetarischen) Landwirtschaft, für uns das Ziel eines progressiven Tierschutzes. Deswegen setzen wir uns für einen bio-veganen Landbau ein. Die Seite biovegan.org hat zum Zeitpunkt des Lesens unserer Stellungnahme nicht funktioniert – jetzt sollte sie jedoch wieder fehlerfrei aufrufbar sein.
Die SPD Hessen-Nord beschloss neulich einen Antrag in dem es unter anderem heißt: „3. Die agrarischen Anstrengungen hin zu einer gewaltfreien Landwirtschaft sind enorm. Wir müssen so früh wie möglich in die Forschung einer tierfreien Landwirtschaft investieren und tierleidfreie Höfe unterstützen“. Siehst du dafür auf Bundesebene Möglichkeiten?
Kritik des Begriffes Nutztier
Wir möchten auch nochmal auf deine Aussagen zu „Nutztier“ in deiner Pressemitteilung eingehen. Du sagtest: „Der Begriff „Nutztier“ sagt alles: Es ist ein Tier, das wir nutzen. Seit mehr als 10.000 Jahren leben wir mit ihm in Symbiose“. Außerdem hast du dich später für das „nutzen“ und gegen das „ausnutzen“ der Tiere ausgesprochen. Aus vielen Kämpfen, die wir Sozialdemokrat*innen bislang bestritten haben wissen wir, dass das, was schon immer so war, kritisiert und gegebenenfalls überwunden werden kann. Wenn der körperliche Verbrauch und die Tötung der Tiere das Ziel ist, muss unserer Meinung nach von Ausnutzung gesprochen werden und auch der Begriff der Symbiose erscheint uns problematisch.
Zoos und Biodiversität
Am Ende des dritten Abschnitts fragst du, ob es bei einer bio-veganen Landwirtschaft Zoos geben würde in denen „Nutztiere“ zu Anschauungszwecken gehalten werden, oder Nutztiere aussterben würden und wie die Biodiversität gewährleistet werden soll. Die „Nutztierrassen“ sind nur durch intensive Zuchtbemühungen des Menschen zum Selbstzweck entstanden. Die Natur braucht sie nicht, würde sie nicht verkraften und hätte sie auch nicht in dieser Form und Zahl hervorgebracht. Wenn etwas erhalten werden soll, dann wäre es eher angebracht, die natürliche Artenvielfalt zu bewahren – und gerade die ist ja von der intensiven Tierhaltung und deren Folgen massiv gefährdet. In der Tat sehen wir Zoos sehr kritisch, weil es offensichtlich nicht in erster Linie um die Interessen der Tiere geht, die dort eingesperrt werden und der „Lerneffekt“ der Bevölkerung durch gute Dokumentationen sicherlich höher ist.
In einem Nebensatz schreibst du, dass wir Tierhaltung an sich ablehnen würden. Allerdings haben wir das nicht gesagt. Wir lehnen die Ausnutzung von Tieren, d.h. Systeme in denen Tiere produziert und getötet und ihre Körper verbraucht werden, ab. Für akzeptabel halten wir unter anderem ein friedliches, für beide Seiten nützliches Zusammenleben wie das, das wir mit einigen Haustieren praktizieren. Eine entsprechende Agenda wurde in letzter Zeit zum Beispiel im Buch Zoopolis entworfen.
Über eine öffentliche (oder auch nicht-öffentliche) Antwort und/oder einen weiteren Austausch freuen wir uns.
Viele Grüße, und eine angenehme Sommerpause
Moritz und Stefan